EIGENTLICH… ja, eigentlich wollten wir dieses Jahr mal woandershin reisen. In die Mongolei vielleicht, oder zur Abwechslung irgendwohin wo es warm ist. Aber wieder einmal ist der Familienalltag zu turbulent und zwischen Schule, Arbeit, Familie und allem, was damit an Verpflichtungen verbunden ist bleibt schlicht keine Zeit für aufwändige Planung. Und Grönland kennen wir, Grönland lieben wir, eine Reise nach Grönland ist (für uns) ohne allzu großen Planungsaufwand möglich – und so wird es wieder einmal Grönland.
Aber, eine Bedingung haben wir (nach unseren Erfahrungen im letzten Jahr): definitiv KEINE Eisbären, die sich zufällig in die Gegend verirren könnten. Und da bietet sich die Gegend um Ilulissat an. Ilulissat ist zwar DER touristische Hotspot Grönlands (was verglichen mit konventionelleren Zielen auch nicht sonderlich viel ist), aber sobald man sich von der Stadt und dem anliegenden Sermermiut Tal am Eisfjord entfernt, ist man dennoch meist völlig alleine.
Da wir uns mit den Packrafts absolut NICHT aufs offene Meer wagen, bietet sich als Paddelrevier das Fjordsystem südlich des Eisfjords an, ein verwinkeltes System aus Meeresarmen, das an einer einzigen engen Stelle mit dem Eisfjord und darüber mit dem Meer verbunden ist. Und da zeigt sich auch schon das erste Problem: Ein befahrbarer Wasserweg in dieses Fjordsystem existiert nicht, Straßen ebensowenig: wie also hinkommen? Ausgangspunkt muss der kleine Ort Ilimanaq (Claushavn), südlich des Eisfjords sein. Und von dort sind es bis zum Wasser über 6km …Luftlinie… weglos*!

Das nächste Problem: wir finden keinerlei Revierbeschreibungen. Und als Orientierungshilfe haben wir nur eine Wanderkarte der Gegend im Maßstab 1:100.000 mit 25m-Höhenlinien (und genügend Erfahrung mit grönländischen Wanderkarten um eingetragene Pfade mit einer gehörigen Portion Skepsis zu betrachten). Neuland also, ein echtes Abenteuer, und entsprechend offen bleiben unsere Pläne: irgendwie hinkommen… und dann mal schauen, schauen, wie die Verhältnisse sind, wie steil die Ufer, wie begehbar das Terrain, und ob uns wieder einmal Wind und Wetter einen Strich durch die Rechnung machen…
Und so finden wir uns – fast auf den Tag genau 10 Jahre nach unserer ersten Gröndlandreise – damals noch zu zweit – wieder einmal auf einem Flug nach Kangerlussuaq wieder. In Kangerlussuaq angekommen (das beim achten Besuch nun wirklich nichts Neues mehr zu bieten hat), müssen wir ein paar Stunden totschlagen bis zu unserem Weiterflug nach Ilulissat. Als wir von einem ausgedehnten Spaziergang zum Fjord zurück ins Flughafengebäude kommen, wird kurz darauf unser Name ausgerufen – wir ahnen was jetzt kommt und ein kurzer Blick auf die Departure-Anzeige bestätigt unsere Vermutung: unser Flug ist gecancelt – genau wie vor 10 Jahren! Routiniert gehen wir zum Schalter und holen uns mit einem achselzuckenden „Imaqa!“unsere Voucher für Essen und Zimmer ab – dann geht es eben erst morgen weiter (den Bootstransfer nach Ilimanaq hatten wir bewusst erst für den darauffolgenden Tag gebucht)! Die Verpflegung ist super, unser Zimmer riesig und eine letzte Nacht im Warmen ist auch nicht so übel. Den Nachmittag verbringen wir mit Kraxeleien in den umliegenden Hügeln, sehen Schneehasen und einen Polarfuchs, drehen eine weitere Runde durch die wenigen Geschäfte im Ort, schließen Bekanntschaft mit anderen gestrandeten Reisenden – Business as usual.
Am nächsten Morgen geht es dann weiter nach Ilulissat, wo wir uns per Taxi zum Zeltplatz am alten Heliport fahren lassen. Zumindest war da mal ein Zeltplatz, mit einem Sanitärcontainer und einem Küchenzelt… Vor 10 Jahren… Jetzt ist da nichts mehr: keinerlei Sanitäranlagen, kein Wasser, nichts! Nur eine ebene Fläche übersät mit Schrauben und kleinem Bauschutt – und einem einzelnen Zelt! Und Fliegen. Millionen kleiner Fliegen- diese Plage kennen wir in dem Ausmaß auch noch nicht! Nicht sehr einladend, aber es ist ja nur für eine Nacht. Wir bauen also unser Zelt auf und erledigen noch die letzten Einkäufe, machen dann einen kleinen Stadtrundgang und einen Ausflug zum Eisfjord (nicht ohne vorher einen extrem aufdringlichen halbwüchsigen Schlittenhund vertreiben zu haben, der sich immer wieder, wenn wir uns ein paar Meter entfernen in der Apsis unseres Zelts niederlässt).
Abends kommt Wind auf. Starker Wind, der wütend an unserem Zelt zieht und zerrt. Und wir stehen völlig exponiert. Unser Zelt hat schon so manchen Sturm ausgehalten in den letzten 5 Jahren, aber diesmal mache ich mir Sorgen: ob die Heringe halten, ob das Material der massiven Krafteinwirkung standhält – das Zelt trotzt auch diesem Sturm, aber Sorge und Lärm lassen mich in dieser Nacht kein Auge zutun.
Entsprechend gerädert fühle ich mich am nächsten Morgen. Der Wind bläst in unverminderter Stärke und wir ziehen uns in den mageren Windschatten eines verlassenen Gebäudes zurück um zu frühstücken. Während der Wind nur langsam etwas nachlässt, ziehen von Süden her düstere Wolken auf. Als uns, wie am Vortag vereinbart, ein Taxi abholt und zum Hafen fährt, ist der Himmel bereits tiefgrau. Die Überfahrt über das aufgewühlte Meer nach Ilimanaq mit einem kleinen Schnellboot dauert etwa eine halbe Stunde. Dann stehen wir etwas verloren und schwer bepackt in Ilimanaq und orientieren uns erst einmal, in welche Richtung wir jetzt eigentlich müssen. Pünktlich in diesem Moment beginnt es zu regnen. Wenig motiviert und gebeugt von dem schweren Gewicht unserer Ausrüstung samt Booten und Essen für ca.15 Tage trotten wir los.
Als wir den Rand des Ortes erreichen geht der Betonplattenweg erst in eine schlammige Piste über und verliert sich wenig später völlig. Jetzt müssen wir uns in etwa an die Wasserleitung halten, die zum nächsten See führt, nur die führt mitten durchs Moor. Tief eingegrabene, schlammgefüllte Quadspuren durchziehen die Ebene, aber von diesen halten wir uns lieber fern: dort sinken wir bei jedem Schritt knöcheltief ein. Meter für Meter kämpfen wir uns voran, schlagen einen kleinen Bogen um den sicheren Grund zu nutzen, den ein paar Felsen bieten, müssen aber letztlich
immer wieder zurück in den Sumpf. Und immer wieder sind meterbreite, flache Rinnsale zu überwinden, die uns zu Umwegen zwingen, bis wir eine passierbare Stelle finden. Trockenen Fußes kommen wir aber auch dann meist nicht hinüber, aber irgendwann kann man sowieso nicht nasser werden. Spaß macht das hier nicht! Worauf haben wir uns da wieder eingelassen? Jeder von uns Erwachsenen trägt neben dem vollgepackten Rucksack noch einen schweren Ortliebsack, das macht schon ohne Supf jeden Schritt zu einer Quälerei. Aber wir müssen ja nur bis zum Wasser kommen, notfalls indem wir mehrfach gehen, dann wird alles leichter. Irgendwann lassern wir tatsächlich einen Teil des Gepäcks zurück, kämpfen uns ein paar hundert Meter weiter vor, gehen zurück, holen das restliche Gepäck und nochmal und nochmal. Und das alles während es beständig regnet.
Irgendwann haben wir das Moor endlich hinter uns gelassen und einen großen See erreicht. Wir sind erschöpft und hungrig und es ist bereits früher Nachmittag. Wir beschließen, das Zelt als Wetterschutz aufzubauen um zumindest trocken zu Mittag essen zu können. Eine Felsschneise verspricht etwas Windschutz zu bieten und bald sitzen wir wenigstens im Trockenen und stärken uns mit den üblichen Nudeln. Der Regen wird unterdessen immer stärker. Eigentlich hatte das hier nur eine geschützte Mittagspause werden sollen, aber die durchwachte Nacht steckt uns in den Knochen und der Supf und der andauernde Regen und wir haben schlicht keine Lust mehr, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Also beschließen wir zu bleiben, nach einer Tagesetappe von gerade mal drei Kilometern, in der Hoffnung auf Besserung am nächsten Tag. Wir verbringen den Nachmittag mit Kartenspielen im Zelt und gegen Abend klart es sogar noch ein bisschen auf und so können die Kinder vor dem Schlafengehen noch ein bisschen überschüssige Energie loswerden.
Als wir in den Schlafsäcken liegen, beginnt erneut der Wind zu wehen. Nach drei Richtungen sind wir hier geschützt – der Wind kommt aus der vierten, wie könnte es auch anders sein.
Es kann nur besser werden!
*Allerdings ist das Gebiet per Quad zugänglich, für uns ein wichtiges Kriterium im Falle eine Notfalls