Lö Tarn ät ün riwiähr – Le Tarn est une riviere: so begann in der 9. Klasse mein Französischunterricht, und diese Worte haben sich unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt. Deshalb stand für mich fest: wenn wir schonmal in Südfrankreich sind, dann fahren wir auch zum Tarn – basta!15°C und leichter Regen? Nochmal drei Stunden Fahrt quer durch die Cevennen? Ach was, wir fahren zum Tarn, denn: „Le Tarn est une riviere“! Das Navi, das nur erlaubte Höchstgeschwindigkeiten und genaue Entfernungen kennt lotst uns über die hohe Route durch die Cevennen. Schmal, steil, gewunden, abenteuerlich – wir kriechen mit 40km/h voran (erlaubt sind 90) und selbst das kommt uns rasant vor – tief unter uns die Alternativroute, die wohl die bessere Wahl gewesen wäre. Es beginnt zu gewittern, zu regnen, wir arbeiten uns vorsichtig weiter vor. Irgendwann erreichen wir endlich unser Ziel.
Wie die Ardeche ist auch der Tarn gesäumt von unzähligen Zeltplätzen – nur: jeder

einzelne davon scheint völlig ausgestorben, trostlos bei dem tristen Wetter. Da in der Gegend vor häufigen Autoaufbrüchen gewarnt wird, ist Einsamkeit so ziemlich das letzte, was wir suchen! Nach langem hin und her und einer kurzen Unterbrechung im einzigen offenen Restaurant in gefühlt 100km Umkreis, um unsere ausgehungerten Kinder zu besänftigen, fällt die Wahl schließlich auf einen kleinen Platz kurz vor Sainte Enimie. Als nächstes versuchen wir für unsere geplante Tour einen Rücktransport von der Ausstiegsstelle zu organisieren – einfach draufloszufahren und darauf zu vertrauen, dass einer von uns schon mit einem Touranbieter zurückfahren kann scheint uns hier zu riskant. Und tatsächlich: überall wo wir fragen wird abgewunken: normal, ja, aber jetzt gerade fährt kaum jemand, zu schlecht ist das Wetter, die ganze Saison schon.
Was nun also? Paddeln will ich auf jeden Fall: le Tarn est une riviere! Lars, der keine emotionale Verbindung zum Tarn hat, ist weniger erpicht auf eine Regentour und willigt gerne ein, am nächsten Tag Fahrdienst zu spielen, damit ich mit Niklas zumindest eine kurze Etappe paddeln, kann während wir auf das hoffentlich kommende bessere Wetter warten.

Am nächsten Morgen bringt Lars uns also ein paar Kilometer flußaufwärts nach Montbrun, wo wir bei leichtem Regen das Boot aufbauen. Es ist düster und trüb und die bewaldeten Hänge sind so ganz anders als die nackten Felswände an der Ardeche. Fast komme ich mir vor wie an der Isar im Bereich des Malerwinkels. Der Fluß fordert zwar einiges an Aufmerksamkeit, denn oft muss man Steinen ausweichen, wartet aber nicht mit größeren Schwierigkeiten auf. Der leichte Regen wird schnell zu einem etwas weniger leichten Regen und dann zu einem kräftigen Regen und in der Ferne ist erstes Donnergrollen zu hören – zum Glück noch weit entfernt. Der Tarn ist in diesem Bereich gesäumt von malerischen kleinen Dörfern, die sich eng an die steilen Hänge schmiegen – bei gutem Wetter sicher ein toller Anblick, heute allerdings ist alles trist und grau. Eigentlich paddle ich nur noch aus Prinzip weiter, „le Tarn est une riviere“ wird zu einem trotzigen Mantra in meinem Kopf. (Niklas ist zum Glück hart im Nehmen und hat trotzdem seinen Spaß an der Sache)
Als wir kurz vor Castelbouc eine flache Brücke erreichen, die wir umtragen müssen, ist das Gewitter schon deutlich näher gekommen und daher beschließen wir, erstmal abzuwarten, wie sich die Lage weiter entwickelt. Inzwischen schüttet es wie aus Kübeln und als wir noch beratschlagen, ob wir nicht lieber Lars bitten sollen, uns abzuholen, kommt plötzlich unser Auto über die Brücke gefahren: die beiden anderen hatten sich

geraden Castelbouc angesehen, als sie uns von oben entdeckten. Da das Wetter keine baldige Besserung verspricht, packen wir zusammen und fahren erstmal in den nächsten Ort zum Einkaufen. Und obwohl man es kaum glauben mag, wird der Regen nochmal schlimmer und hält stundenlang in gleicher Intensität an.
Erst am späten Nachmittag wird es langsam freundlicher, und für den nächsten Tag ist sogar eine Wetterbesserung angekündigt – wir schöpfen also Hoffnung, vielleicht doch noch die Gorges du Tarn bis zum Felssturz Pas de Souci oder noch weiter befahren zu können. Als dann gegen Abend sogar die Sonne kurz herauskommt, nutzen wir die Gelegenheit, lassen uns nochmal nach Castelbouc fahren und paddeln von dort bis zu unserem Zeltplatz. Der Wasserpegel ist merklich gestiegen und es wird eine wunderbare kleine Feierabendtour.
Für den nächsten Tag sind wir guter Dinge.
Als wir abends im Zelt liegen, beginnt schon bald das vertraute Geräuch von Regentropfen, die auf die Zeltwand prasseln unsere Ruhe zu stören. Der Regen wird stärker und stärker, dauert die ganze Nacht an und als wir am näcshten Morgen aufstehen regnet noch immer. Der Tarn ist über Nacht zu einem braunen Strom angewachsen, der nicht mehr weit davon entfernt scheint, die unteren Teile der Zeltwiese zu erreichen. Und die Wettervorhersage leugnet hartnäckig, jemals eine Wetterbesserung für die nächsten Tage in Aussicht gestellt zu haben. Das wars dann wohl mit Paddeln auf dem Tarn!
Frustriert packen wir unsere Sachen. Den verregneten Tag nutzen wir noch zur Besichtigung der Höhle Aven Armand, die uns so beeindruckt hat, dass ich ihr einen eigenen kurzen Blogpost widmen werde. Als wir durch Sainte Enimie fahren, hat der Tarn schon die Hälfte des unteren Parkplatzes direkt am Fluß überflutet. Ein einziges Auto steht noch dort. Na hoffentlich kommt der Besitzer noch rechtzeitig wieder!

Auf dem Rückweg von der Höhle kommen wir noch einmal durch Sainte Enimie. Schon von weit oben sehen wir die tosende braune Brühe, die einmal ein kleines Flüsschen war, die jetzt ganze Bäume mit sich reißt. Das Wasser steigt minütlich weiter. Der untere Parkplatz ist inzwischen ganz verschwunden und auch der obere wird, während wir auf der Mauer sitzen und das Hochwasser beobachten, fast vollständig überspült. Mitten im Fluß, scheinbar fast schon am anderen Ufer, sieht man noch eine Reihe kleiner Bäume, die einmal die Begrenzung des unteren Parkplatzes gewesen waren. Als wir uns nach langer Zeit endlich losreißen können, haben die Fluten auch sie längst mitgerissen.
An weitere Paddeltouren ist in der gesamten Region für die nächsten Tage nicht zu denken und so machen wir uns schweren Herzens ein paar Tage früher als geplant bereits auf den Heimweg.
Südlich des Bodensees kommen wir am nächsten Tag dann noch in das heftigste Gewitter, das ich je erlebt habte: einmal zähle ich 56 Blitze in nur einer Minute und der Regen zwingt uns auf der Autobahn in Schrittgeschwindigkeit zu fahren. Diesen Urlaub hatten wir uns wahrlich anders vorgestellt!
Epilog: Später, als wir wieder zu Hause sind, holt die Mutter eines Schulfreundes von Niklas ihren Sohn bei uns ab. Wir unterhalten uns über die Pfingstferien, ich erzähle von der Ardeche, vom Gard, vom Tarn – woraufhin von ihr, wie auf Knopfdruck,kommt: „Le Tarn est une riviere…“