Am nächsten Morgen sind wir schon um neun Uhr auf dem Wasser. Unser heutiges Ziel ist das winzige Marienthal, gut 19 Kilometer weiter. Geplant ist, dass wir hier die Nacht verbringen und dann in einer letzten Tagesetappe bis Regenstauf weiterfahren, wo wir die Tour beenden wollen (die restliche Kilometer bis Regensburg gelten als nicht gar so schön, daher haben wir beschlossen, es dabei bewenden zu lassen). Aber, dann kommt doch alles wieder anders.
Das erste Wehr kommt schon nach wenigen hundert Metern. Hier ist umtragen angesagt. Beim Versuch, das Boot die Böschung hinabgleiten zu lassen, dreht es sich um seinen Schwerpunkt (nämlich den vorne festgezurrten Sack mit unserem Gepäck), mit dem Resultat, dass die beiden lose im Boot liegenden Wasserflaschen in den Fluss fallen. Eine

kann ich wieder herausfischen, die andere ist zu voll und geht unter – macht nichts, wir sind ja nicht in der Wüste und an den Tagen zuvor hat uns auch ein Liter Wasser mehr als gereicht.
Die Fahrt geht also etwas leichter weiter und wenig später erreichen wir schon das Wehr Tiefenbach. Wir legen an und betrachten unsere Optionen: eine kurze Umtragung, oder der Fischaufstieg neben dem Wehr, wo man im Slalom über einige kleinere Stufen müsste und am Ende noch einen etwas höheren Abfall überwinden muss. Gut fahrbar, eigentlich, mit dem wenidigen Packraft. Jaaku will ich das allerdings nicht zumuten und bitte ihn daher, zum Einstieg zu laufen, während ich das Boot die Fischtreppe herunterbringe. Als ich kurze Zeit später am Einstieg ankomme, sehe ich bereits, dass mein Sohn bitterste Tränen weint. Hat er etwa Angst bekommen, hat ihn die kurze Trennung überfordert? Nein, das war nicht der Grund: „Als ich gesehen habe, wie das ist, wollte ich mitfahren!“ Aber er ist zum Glück schnell wieder getröstet und die Fahrt kann weitergehen.

Breit und gemächlich fließt der Regen dahin, wird langsamer und langsamer bis wir vor dem nächsten Wehr stehen. Hier, in Nittenau, ist die Tragestrecke etwas länger, aber es ist Mittageszeit und ein Kiosk lockt mit leckeren Gerüchen. Wir legen also eine längere Pause ein und freuen uns, mal etwas anderes als Nudeln zu essen. Frisch gestärkt (und das wird sich später als sehr gut erweisen) geht es dann weiter. Nach dem Wehr ist der Regen schmaler und fließt deutlich schneller – eine wahre Freude.
Diesmal sind es ganze sieben Kilometer bis zum nächsten Wehr, aber die Strecke ist zügig zurückgelegt. Auch hier wäre die Umtragestrecke etwas länger, aber ein herrlich zu fahrender, enger Fischpass erleichtert die Angelegenheit. Danach geraten wir in einen flachen Nebenarm und ich muss einige Male aussteigen und treideln, bis wir den Hauptfluss wieder erreicht haben.
Bald zieht die Strömung deutlich an und immer wieder finden sich große Steine im

Flußbett. Links und rechts werden die bewaldeten Hänge steiler und rücken näher an den Fluß heran – der Regen hat hier einen ganz anderen Charakter als auf den letzten Etappen. Schon haben wir Marienthal erreicht, unserem heutigen Ziel. Wir ziehen das Boot aus dem Wasser und orientieren uns erstmal. Die Wiese am Ufer ist als Zeltwiese markiert, aber sanitäre Einrichtungen gibt es hier nicht. Unser Paddelführer verweist uns an den nahegelegenen Gasthof, aber als wir davorstehen scheint alles verlassen. Die Türen sind verriegelt, die Türrahmen voller Spinnweben: hier war offenbar seit langem niemand mehr!
Was nun? Ohne Wasser und ohne Toiletten wollen wir hier nicht bleiben. Wir sehen uns noch etwas um. Eine Tür lässt sich etwas aufdrücken, dahinter die Küche des Gasthofs. Wir rufen und gehen dann vorsichtig hinein. Auch hier: alles verlassen und das Wasser ist abgestellt. Langsam gewöhnen wir uns an den Gedanken, dass wir offenbar bis zum nächsten Zeltpaltz im 9km entfernten Ramspau weiterziehen müssen. Zum Glück ist es

noch früh. Durch das Malheur am Morgen sind unsere Wasservorräte inzwischen sehr knapp. In einem der handvoll Häuser, aus denen Marienthal besteht, sehe ich Licht brennen. Wir klopfen an die Tür und bitten um etwas Wasser. Bevor wir weiterziehen, schreibe ich noch einen kurzen Zettel für die Kanadierfahrer, die wir hier eigentlich wiedertreffen wollten, dann setzen wir ungeplant die Fahrt fort. Zum Glück ist die Strömung hier recht stark und treibt uns schnell voran. Die folgende Strecke ist landschaftlich wunderschön – durch ein enges Tal und das Flußbett durchsetzt mit großen Findlingen. Schade, dass wir das nicht mehr genießen können!
Gut 1,5 Stunden später habe wir Ramspau erreicht – und die 28 km der heutigen Tagesetappe spüre ich deutlich in den Armen. Aber, bevor wir uns ausruhen will erstmal das Lager eingerichtet werden. Die Zeltwiese ist Teil eines Flußfreibads gegenüber des Orts – und komplett verlassen. Die Toiletten sind versperrt, es ist wohl noch zu früh in der Saison.
In meinem Paddelführer ist eine Telefonnummer angegeben, unter der man sich zum zelten anmelden soll, doch niemand hebt ab. Also wieder: kein Wasser, keine Toiletten, alles verlassen – was nun? Bis nach Regenstauf sind es weitere 4 Kilometer und zwei Wehre (und einen Zeltplatz gibt es dort nicht)? Aber hierbleiben schient auch keine Option. Ein Erkundungsgang bringt eine positive Überraschung: die Freibad-Duschen auf der Wiese sind in Betrieb, eine hat zusätzlich einen Wasserhahn – und auf Toiletten können wir zur NOt bis morgen auch verzichten. Ich beschließe also doch zu bleiben und baue mit Jaakus Hilfe das Zelt auf. Aber: so ganz wohl ist mir nicht bei der Sache, so ganz alleine aber eben auch nicht in der Einsamkeit oder in einem wirklich kleinen Ort wie Reichenbach oder Marienthal. Ich kommen mir plötzlich ziemlich exponiert vor,

schiebe dieses gefühl aber beiseite, denn, was sind die Alternativen?
Als das Zelt gerade steht kommt eine Gassigängerin mit ihrem Hund vorbei, die uns aus einiger Entfernung kurz beobachtet und dann weitergeht. Kurze Zeit später ist sie wieder da. Ich gehe auf sie zu und wir kommen ins Gespräch. Sie wirkt besorgt, rät mir klar davon ab hier allein zu zelten und da ich ja auch kein gutes Gefühl bei der Sache habe, nehme ich ihre Bedenken sehr ernst. Als ich noch für mich überlege, was nun meine Optionen sind, bietet sie mir an, uns nach regenstauf zum Bahnhof zu fahren. Das nehme ich gerne an und in windeseile packen wir unsere Sachen zusammen und steigen zu ihr ins Auto.
Tja, eine Stunde später sitzen wir, nach einem sehr langen und ereignisreichen Tag im Zug nach München und sind gegen kurz nach neun Uhr abends nach ein paar sehr schönen und ruhigen Paddeltagen früher als geplant wieder zu Hause.
Und an die Gassigängerin in Ramspau an dieser Stelle noch einmal: Vielen herzlichen Dank!!!