Sehr im Gegensatz zum „wirklichen Leben“ war es hier im Blog ja wieder mal lange Zeit sehr still. Aber, da ich gerade auf dem Packrafting Blog einen Artikel als Gastautor veröfentlicht habe (ein Review über unsere Trockenanzüge), wollte ich hier auch mal wieder nachziehen. Hier kommt also ein kondensierter Reisebericht über unseren diesjährigen Sommerurlaub in Südgrönland, der, wie der Titel schon sagt, ziemlich durchwachsen war. (Ein detaillierterer Bericht folgt hoffentlich auch irgendwann)
„Ah, where the polar bears are…“ – dieser kurze Satz, ein bisschen Smalltalk am Morgen mit einem anderen Hostelgast, sollte unsere gesamte Reiseplanung gehörig über den Haufen werfen und dafür sorgen, dass unser diesjährige Sommerurlaub alles andere als entspannend war. Und trotzdem sind wir heilfroh darüber!
Aber der Reihe nach: dieses Jahr wollten wir im Sommer Südgrönland erkunden. Geplant war von Narsaq aus in einer guten Woche die ca. 60km nach Tasiusaq zu wandern (mit zwei Kindern in vielfach weglosem Gelände eine realistische Zeitplanung) und dort unsere vorausgeschickten Packrafts und die Verpflegung für eine weitere Woche in Empfang zu nehmen. In den geschützten Eisfjorden um die Farm Tasiusaq herum wollten wir dann eine Woche paddeln, bevor wir uns auf den Rückweg zum Flughafen in Narsarsuaq machen, von wo aus wir nach ein paar weiteren Wandertagen zurück nach Hause fliegen wollten.
Die Anreise klappt wie am Schnürchen, von München aus geht es über Kopenhagen nach Narsarsuaq, von wo uns ein Boot des ansässigen Touranbieters nach Narsaq bringt. Das Wetter ist herrlich und die gesamte Bootsfahrt über starren wir verträumt auf die Küste, die Felsen die mal steil, mal flach ins türkisblaue, eiskalte Wasser abfallen und suchen uns in Gedanken geeignete Zeltplätze aus für den Teil unser Wanderung, der an der Küste entlangführt. Da ahnen wir noch nicht, welche Gefahr dort lauert. Der Gedanke dort nichtsahnend zu zelten erfüllt mich jetzt noch mit kaltem Grausen…
Die erste Nacht verbringen wir im Hostel, und beim Frühstück am nächsten Morgen komme ich mit einem anderen Gast ins Gespräch. Er erzählt mir, dass er jetzt nach Ostgrönland weiterreist. „Ah, where the polar bears are…“ meine ich dazu. Er antwortet „hoffentlich, aber hier in der Gegend sind ja zur Zeit auch ein paar unterwegs. Gerade erst hat man einen bei Silisit gesehen.“ Ich werde hellhörig. Über Eisbären hatten wir uns natürlich vor der Reise erkundigt, die werden wohl ganz gelegentlich mal im Frühjahr mit dem Packeis angetrieben, im Sommer allerdings – nein, da braucht man sich über Eisbären nun wirklich keine Sorgen zu machen. Silisit, übrigens, liegt direkt auf unserer Wanderroute. Aber hätte nicht der Touranbieter, mit dem wir uns ja gestern erst über unsere Pläne unterhalten hatten, davor gewarnt, wenn das wahr wäre? Zumal wir ja auch noch mit kleinen Kindern unterwegs sind?
Zwei andere Touristen hören das Gespräch zufällig und mischen sich ein: ja, da war ein Eisbär. Sie seien gerade drei Tage lang auf einer Farm ganz in der Nähe festgesessen, denn an ihrem ersten Morgen dort – sie saßen gerade beim Frühstück – stieg ein Eisbär direkt vor der Farm aus dem Wasser, hier, schaut die Fotos an! Wahrhaftig, ein Eisbär! Unter anderen Umständen wäre ich begeistert gewesen, aber wir wollen hier wandern und zelten. Mit den Kindern. Genau in dieser Gegend, genau an dieser Küste, die ich gestern so verträumt betrachtet hatte – uns wird schlecht vor Angst, und wir beschließen, erst einmal weitere Informationen einzuholen.
Wir stellen unsere fertig gepackten Rucksäcke also wieder ab und verbringen die nächsten Stunden damit, alle nur erdenklichen Informationsquellen zu befragen. Die Aussagen, die wir erhalten sind widersprüchlich und scheinen alles andere als verlässlich: zwei Eisbären wurden gesehen, beide sind inzwischen erschossen – es waren mindestens drei, zwei davon sind tot – fünf wurden in Südgrönland beobachtet, abgeschossen mit Sicherheit nur einer – hier hat noch nie ein Eisbär Menschen angegriffen – die sind nur an der Küste, solange ihr im Landesinneren bleibt, besteht keine Gefahr (NB: das ist übrigens ein gefährlicher Irrtum, Eisbären wandern teilweise weit ins Landesinnere hinein)– wenn ihr Angst habt, kauft euch doch einfach da drüben im Supermarkt ein Gewehr… Was sollen wir tun? Wir sind unschlüssig. Die Entscheidung bringt ein Besuch im Polizeirevier. Der Polizist ruft für uns schnell beim Eisbärenzentrum in Nuuk an: gerade vor einer Stunde hat ein Wanderer in den Hügeln zwischen Silisit und Tasiusaq einen Eisbären gesehen! Jetzt ist die Sache klar: Nein, dort werden wir nicht wandern gehen, dieser Gefahr setzen wir uns und unsere Kinder nicht aus!
Wir lassen uns also von dem Polizisten beraten: das Tal da hinten ist von schroffen Bergen umgeben, die Klippen auf der anderen Seite fallen steil ins Meer ab, dort wurde noch nie ein Eisbär gesehen, da könnt ihr ohne weiteres zelten.
Im Supermarkt kaufen wir uns noch eine Signalfackel, um nicht ganz mit leeren Händen dazustehen (an ein Gewehr trauen wir uns mangels Erfahrung nicht heran)und wandern wir dann ein gutes Stück in das besagte Tal hinein. Von dort aus unternehmen wir ein paar sehr schöne Tagestouren, aber die Angst lässt uns die ganze Zeit nicht los, vor allem in den Nächten im Zelt liege ich zum Zerreißen gespannt wach und lausche nervös auf jedes Geräusch.
Als wir nach fünf Tagen wieder nach Narsaq absteigen kommt uns eine Touristengruppe entgegen – ein Gewehr griffbereit am Rucksack befestigt. Zwei Kajakfahren am Hostel erzählen davon, dass ein Farmer sie eines Abends aufgeregt zu sich heran gewunken hatte, zu gefährlich da draußen, und ihnen für die Nacht Obdach in ihrem Haus geboten hatte. Inzwischen gibt es eine offizielle behördliche Warnung, nicht unbewaffnet in die Natur hinaus zu gehen.
Was fangen wir also nun an? Paddeln wollen wir unter diesen Umständen nicht! Wir beschließen ein paar Tage nach Qaqortoq zu fahren „da seid ihr vor Eisbären sicher, da könnt ihr ohne Angst wandern gehen“. In Qaqortoq beziehen wir erst einmal ein Hostel, wollen am nächsten Morgen aufbrechen, vielleicht zur Ruine Hvalsey? Mal schauen. „Zelten? Jetzt? Seid ihr verrückt? Es sind Eisbären in der Gegend!“ Von acht Bären ist mittlerweile die Rede. Wir geben auf und verbringen miesgelaunt und bei Dauerregen drei Tage im (ansonsten sehr netten) Hostel.
Und dann? Doch Tasiusaq und paddeln? Heidi, die Hostelbetreiberin rät uns dazu. Ein Marathonlauf war da vor ein paar Tagen, mit mehreren hundert Teilnehmern. Spätestens das wird den Bären vertrieben habe. Und neue Informationen über Bärensichtungen gibt es seit über einer Woche nicht mehr.
Wir buchen also ein Schiff zurück nach Narsarsuaq, lassen uns dort nochmal beraten, von einer Frau die selbst Mutter ist und im Gegensatz zu anderen, mit denen wir dort gesprochen haben, unsere Sorgen nicht auf die leichte Schulter nimmt.
Sie gibt uns grünes Licht, zehn Tage seit der letzten Eisbärensichtung und in Tasiusaq sollen wir Aviaja um Rat fragen, die Farmerin und ebenfalls Mutter.
Im strömenden Regen laufen wir am nächsten Tag nach Tasiusaq, zelten vorm Hostel, da kein Platz mehr drinnen frei ist, eine letzte Regennacht, danach wird alles besser.
Am nächsten Morgen holen wir bei Aviaja unser vorausgeschicktes Gepäck ab und als auch sie uns nicht von unseren Plänen abrät steht dem Paddeln nichts mehr im Wege. Nach einer kleinen Testfahrt beginnen wir also am nächsten Morgen unsere dreitätige Tour durch die geschützte Bucht von Tasiusaq. Und diese Tour ist einfach großartig. Bei spiegelglatter See zwischen Eisbergen zu paddeln ist ein Erlebnis, das seinesgleichen sucht. Ohne Eile und voller Genuß paddeln wir drei Tage in der langgezogenen Bucht herum, machen ausgedehnte Wanderungen von unserem Lager aus, entdecken Eskimogräber und verbringen sehr viel Zeit an jedem noch so kleinen Bach, wo die Kinder spielen und Staudämme bauen bis ihre Hände steif und rot vor Kälte sind. Wir sehen Eisberge, die so klar sind wie Glas und die man unter Wasser kaum erkennen kann. An einem kleinen, flachen Fluß, der in die Bucht mündet schlagen wir unser Nachtlager auf und ziehen die Kinder immer und immer wieder einige dutzend Meter den Fluß hinauf und lassen sie dann bis ins Meer hin paddeln, direkt auf die Eisberge im Hintergrund zu. Manchmal rollt ein Eisberg vor unseren Augen oder bricht geräuschvoll auseinander, einmal sehen wir eine Robbe, die sich auf einer Eisscholle sonnt, an einem Morgen ist es so klar und ruhig, dass die ganze Bucht von einer dünnen Eisschicht bedeckt ist – kurz gesagt, es ist paradiesisch… wäre da nicht immer diese Angst im Hinterkopf. Ein Schaf an einem Berghang, das zu groß erscheint, ein ungewöhnlich gelblichweiß gefärbter Eisbrocken im Wasser, eine Bewegung aus dem Augenwinkel und schon sind wir alarmiert, die Signalfackel und eine Drucklufttröte, die wir noch in Qaqortoq erstanden haben sind immer griffbereit, die Anspannung lässt uns nie ganz los. Und während tagsüber der Verstand die Oberhand behält und wir die Ängste immer wieder wegschieben können, siegt nachts die Angst. Und so machen wir uns nach insgesamt 2,5 Wochen mit einem lachenden und einem weinenden Auge wieder auf die Heimreise.
Auch Monate später sehne ich mich immer wieder nach Südgrönland zurück, nach den steilen Berghängen, den sanften grünen Hügeln, den eisgefüllten Fjorden, der spektakulären Landschaft, die noch ein Stück mehr beeindruckt als das, was wir von Grönland sonst bereits gesehen haben. Aber nach unseren Erlebnissen werden wir dort wohl nie wieder so ganz unbeschwert wandern können und sollten wir nochmal hinfahren, dann nur entsprechend vorbereitet – so unwahrscheinlich eine Eisbärenbegegnung dort normalerweise auch sein mag.
Unnötig zu erwähnen übrigens, dass wir was das Verhalten des ansässigen Touranbieters betrifft ziemlich wütend sind – unseres Erachtens hätte er uns über die Eisbärengefahr zwingend informieren müssen und wir empfinden es als unverantwortlich, dass dies unterblieb!
Epilog:
Ob der kurz vor unserem Touraufbruch von einem Touristen gesichtete Eisbär überhaupt real war (oder ob dort ein nervöser Wanderer im Nebel einfach vor einem entfernten Schaf erschrocken war), daran haben wir lange Zeit Zweifel, immerhin war dies die allerletzte Bärensichtung in der Gegend bis zum Ende unseer Reise.
Tja, und dann wurde mir dieser Bericht vorab zugespielt. Die Daten und Orte und das herrschende Wetter stimmen perfekt überein, die Begegnung muss sich kurz vor unserem Besuch im Polizeirevier am Anfang unserer Tour ereignet haben – kein Zweifel, also: der Bär war echt!