Der nächste Tag beginnt so wunderschön wie der letzte geendet hat: Morgennebel liegt über dem einsamen Kiesbett des Tagliamento, die Sonne steigt schnell höher und es wird immer wärmer. Gemütlich frühstücken wir und packen dann langsam unsere Sachen, während die Kinder im flachen Wasser spielen, das so eiskalt ist, dass es an den Beinen schmerzt.
Das Wasser steht etwas höher als am Vorabend und während wir die Boote beladen merken wir, dass der Pegel noch weiter steigt. Das hätte uns eine Warnung sein sollen!
Schließlich sind wir bereit und die Fahrt geht weiter. Wir passieren die Eisenbahnbrücke und während die Hügel zu beiden Seiten näher rücken, bewegen wir uns auf die Engstelle zwischen Pinzano und San Pietro zu. Hier vereint sich alles Wasser des Tagliamento in einem Arm, der von einer hohen Brücke überspannt wird. Hier und da sind ein paar Baumleichen zu umfahren, dann ist man vorbei und das Flußbett weitet sich wieder auf. Links erhebt sich ein steiler Sandabbruch. Danach bemühen wir uns, einen mittigen Flußarm zu erwischen und auf diese Weise gelingt es uns tatsächlich, das Halbwehr won Villanova zu umfahren.
An einer kleinen Insel machen wir Mittagspause. Wir ziehen die Boote aus dem Wasser und beginnen, das Mittagessen zu kochen. Das rote Boot liegt direkt vor uns, das blaue ca. 10m weiter flußabwärts, vollbeladen, im Blickfeld.
Während Lars kocht, lasse ich mich von den Kindern zu einem Rundgang über die Insel überreden. Wir platschen durch flache Pfützen, beobachten kleine Fischchen, bohren die Füße in den Schlamm. Als wir zurückkommen, ist das blaue Boot verschwunden!
Alarmiert rufe ich Lars zu, wo das Boot ist und der springt erschrocken auf. Eben war es noch da gewesen, das ist noch keine 30 Sekunden her! Der Fluß war in den letzten Minuten weiter gestiegen und hatte offenbar mein Boot, dessen Schwerpunkt nur knapp über dem Wasser war, davongetragen! Jetzt ist schnelles Handeln angesagt, bestimmt hängt es in irgendeinem Kehrwasser… hoffentlich!!!
Lars springt in sein Boot und fährt davon, ich sichere Kocher und Kinder und will dann auch zum Südende der kleinen Insel laufen, vielleicht sehe ich ja irgendwo in der Ferne das Boot! Aber so weit komme ich garnicht: nur wenige Meter entfernt, da wo ich kurz vorher mit den Kindern gespielt hatte, liegt im nächsten Kehrwasser mein Packraft. Vollkommen unbewegt, als sei es nie woanders gewesen! Ich laufe durch das hüfttiefe Wasser, hole das Boot und binde es am nächsten Strauch sehr, sehr fest! Nochmal Glück gehabt! So etwas sollte uns als erfahrenen Paddlern wirklich nicht passieren!!!
Wir halten nun nach Lars Ausschau, können ihn aber nicht entdecken. Also sorge ich erst einmal dafür, dass die Kinder einen Teller Nudeln essen. Als ich danach noch einmal flußabwärts blicke, sehe ich Lars in weiter Ferne, der die Suche inzwischen aufgegeben hat, und sich, sein Packraft auf dem Rücken, durch das Kiesbett auf den Rückweg zu uns gemacht hat. Da ist die Erleichterung groß, als ich im die frohe Botschaft entgegenbrülle.
Bald ist dann alles wieder verpackt und festgezurrt und die Reise kann weitergehen (wobei uns der Schreck noch einige Zeit in den Knochen sitzt). Noch trägt uns die Strömung unverändert schnell voran, während die Berge und Hügel in der Ferne verschwinden und sich um uns herum endlose Ebenen ausbreiten. Nach der Brücke von Dignano teilt sich der Fluß in immer mehr Arme auf und es wird zunehmend schwieriger den Hauptarm zu identifizieren. Oft ist das Wasser so flach, dass wir über die Steine am Boden rutschen, Lars muss sogar gelegentlich aussteigen und sein Boot ziehen. Nun lässt auch die Strömung merklich nach. Zwischen Dignano und der nächsten Brücke versiegt der Fluß in den Sommermonaten oft komplett. Aber diesmal haben wir Glück…
Etwa drei Kilometer vor der nächsten Brücke beschließen wir Halt zu machen und unser Nachtlager aufzuschlagen. Fast 40 Kilometer sind wir heute gepaddelt, ohne merkliche Anstrengung!
Wir finden einen schönen Zeltplatz am Ufer, wo wir auch eine Feuerstelle mit improvisierter Sitzbank vorfinden. Wir binden die Boote gut fest (!!!) und erkunden die Umgebung. Als ich durchs Wasser laufe, fällt mir auf, dass es, anders als heute morgen, angenehm warm ist – seltsam. Und immer noch steigt der Fluß weiter an! Wir gehen schwimmen und essen dann am Lagerfeuer unser Abendbrot.
Dann überlegen wir, was wir weiter machen: bis Latisana ist es noch ein weites Stück und von dort müssen wir ja auch noch mit der Bahn zum Auto zurückkommen und nach Hause zurück fahren. Und am Montag ist Schule, zu spät sollten wir Sonntag abend also nicht zurückkommen. Die Alternative wäre, an der nächsten Brücke den Bus zu nehmen, aber die Flußfahrt ist so schön, dass wir sie auch nicht frühzeitig beenden wollen.
Zu diesem Zeitpunkt ahnen wir noch nicht, das der Fluß uns diese Entscheidung abnehmen wird…