Am nächsten Tag ist Packen angesagt: heute brechen wir auf zu einem dreitägigen Abstecher nach Rodebay, einer kleinen, 40 Einwohner umfassenden Siedlung 18km nördlich von Ilulissat. Im Winter kommt es auf die Schnee- und Eisverhältnisse an, ob und wie Rodebay zu erreichen ist: manchmal ist wohl der Hundeschlitten das einzig mögliche Transportmittel aber im Moment sind die Eisverhältnisse so, dass auch der Zugang per Boot möglich ist.
Um 13 Uhr sind wir am Hafen mit Ole verabredet, der das kleine „Hotel Nordlys“ in Rodebay betreibt. Jaaku ist ziemlich nervös, als er hört, dass wir wieder mit dem Boot fahren werden. Wieder und wieder müssen wir ihm versichern, dass diesmal keine Leiter im Spiel ist, wie bei der Fahrt zu „Gerina“ (Regina) in Ilimanaq.
Als wir mit unserem großen Rucksack am Hafen stehen (den Rest des Gepäcks haben wir im Gästehaus gelassen) hat uns Ole auch schon entdeckt und winkt uns heran. Wir steigen in die „Junnuk“, sein kleines rotes Schnellboot und fahren langsam aus dem Hafen hinaus. Dann beschleunigt er und in wilder Fahrt springen wir über die Wellen und kurven um die Eisberge herum. Obwohl kaum Wind ist, sind die Wellen recht groß und immer wieder heben sie das Boot hoch aus dem Wasser und setzen es mit einem dumpfen Schlag wieder ab. Wir sind unsicher, wie die Kinder diesen wilden Ritt aufnehmen, aber die Sorge ist unbegründet: bei jedem Schlag und Sprung jauchzen die beiden erfreut auf und haben ganz offensichtlich einen Riesenspaß.
Nach etwa 20 Minuten sehen wir schon die bunten Holzhäuschen von Rodebay, aber wir müssen noch weiter auf die andere Seite der Halbinsel, wo sich der Hafen in einer gut geschützten Bucht befindet. Diese Bucht hat auch dem Ort seinen dänischen Namen „rote Bucht“ eingebracht: Walfänger haben ihren Fang in früheren Zeiten hierher geschleppt und im Schutz der Bucht zerlegt, das Wasser wurde vom Blut rot gefärbt. Poetischer ist da schon der grönländische Name des Orts, Oqaatsut, der „Kormorane“ bedeutet.
Die Bucht ist angefüllt von großen Eisschollen und wir bahnen uns in Schrittgeschwindigkeit einen Weg zwischen ihnen hindurch. Ole erzählt, dass er noch nie zuvor erlebt hat, dass das Eis der Bucht bereits im März aufbricht – die Auswirkungen des Klimawandels sind hier in Grönland deutlicher zu spüren als anderswo.
Gute hundert Meter vor dem Ufer haben wir die Eiskante erreicht. Während Ole das Boot an ein paar Eisblöcken vertäut beobachten wir eine Gruppe Inuit, die vom Eisrand aus fischen.
Ole führt uns hinauf zum Hotel, das früher sein Elternhaus war und wir beziehen unser Zimmer im Erdgeschoß, direkt neben der Küche. Einen Zimmerschlüssel erhalten wir nicht, und wir fragen auch nicht danach – wozu auch, in diesem kleinen Ort, wo jeder jeden kennt?
Wir sind nicht die einzigen Gäste. Außer uns ist noch eine Gruppe Franzosen da, die eigentlich auf einer Yacht wohnen, die auf einer nahegelegenen Insel im Eis eingeschlossen ist. Der Eigner der Yacht stellt diese über den Winter für „arktisbezogene Projekte“ zur Verfügung (http://atka.fr/), zur Zeit sind einige krebskranke Jugendliche zu Besuch, denen eine Stiftung dieses Arktisabenteuer ermöglicht. Der Bootseigner ist ebenfalls zu Besuch vor Ort, und so wird es auf der Yacht etwas zu eng und ein Teil der Gruppe weicht deshalb aufs Hotel auf.
Die Franzosen fragen uns, ob sie unser Zimmer mitbenutzen können, denn dort liegt das einzige verfügbare Internetkabel. Wir sind amüsiert, haben aber nichts dagegen.
Lange bleiben wir nicht im Haus, zu schön ist das Wetter und zu spannend die neue Umgebung. Die Kinder klettern auf die flachen Granitfelsen hinter dem Hotel und wir klettern hinterher. Von oben hat man einen schönen Ausblick über Rodebay und die gestrandeten Eisberge auf der einen Seite und auf die zugefrorene Bucht auf der anderen Seite. Und natürlich sind hier auch wieder zugefrorene Pfützen, mit denen man sich stundenlang beschäftigen kann – zumindest wenn man 3 und 6 Jahre alt ist. Wir genießen unterdessen den Sonnenschein. Später machen wir dann einen Abstecher auf den Spielplatz und dann auf die zugefrorene Bucht. An einer Stelle hat sich das Eis auf 20m Länge hoch aufgetürmt – ein toller Spielplatz, von dem wir die Kinder nicht so schnell wieder wegbekommen! Und dort sehen wir auch endlich unseren ersten Hundeschlitten, der über das Meereis in voller Fahrt an uns vorbeizieht.
Als wir später noch einmal zur Eiskante laufen, entdecken wir Robbenfelle, die eingefroren im Eis stecken. Ole erklärt und dazu später, dass es zu teuer sei, die Felle zu präpariern. Daher werfen die Jäger sie einfach an Ort und Stelle weg. Niklas Reaktion darauf ist klar: „Ich will eins haben, können wir eins ausgraben?“…
Abends kommen noch zwei Wanderer an, die den Weg von Ilulissat zu Fuß zurückgelegt haben: ein pensionierter Zahnarzt mit seiner Frau, der bereits zum dritten Mal für ein paar Monate hier in Grönland praktiziert.
Und so wird es ein unerwartet anregender erster Abend mit interessanten Menschen hier in Rodebay.