Für den nächsten Tag haben wir eine weitere Wanderung am Eisfjord geplant, diesmal auf der gelb markierten Route, die hinter dem Heizkraftwerk am westlichen Ende der Stadt beginnt. Hierhin hatten wir ja vor ein paar Tagen schon einmal einen kurzen Abstecher gemacht. Der Himmel ist nach wie vor strahlend blau, aber heute weht ein kalter, schneidender Wind, der den losen Schnee hoch aufwirbelt.
Wir brechen dennoch auf, aber auf der Treppe, die auf die Felsen hinauf führt peitscht uns der Wind kleine harte Eiskörnchen ins Gesicht, so dass wir uns vorkommen wie in einem Sandstrahlgebläse. Hier ist für uns jetzt kein Durchkommen! Wir drehen also um und verbringen den Vormittag am Gästehaus.
Ein weiterer Versuch Eier einzukaufen – diesmal im größten Supermarkt der Stadt – schlägt fehl, und diesmal bekommen wir eine Erklärung dafür: in Grönland gibt es keine Hühner und Eier sind schwer zu transportieren, daher sind sie –
selbst hier in Grönlands drittgrößter Stadt – nur selten erhältlich. Natürlich – wenn man darüber nachdenkt! An solchen Erlebnissen merkt man immer, wie weit weg wir hier doch sind, und dass man manche Dinge viel zu selbstverständlich voraussetzt…
Gegen Mittag flaut der Wind langsam ab und so wagen wir nach dem Mittagessen einen neuen Versuch. Diesmal kommen wir problemlos voran und laufen von der warmen Sonne beschienen über die Felsen zur Mündung des Eisfjords. Schon bald kommen die riesigen Eisberge in Sicht. Wieder werden die Fußspuren um uns herum immer spärlicher und hören in einer Senke schließlich ganz auf. Den Markierungen folgend kämpfen wir uns durch tiefen Schnee, der der Kindern teilweise bis zur Hüfte geht. Jaaku möchte irgendwann nicht mehr weitergehen und wieder steht es zur Diskussion, ob wir umkehren sollen. Niklas hat diesmal keinen Erfolg bei seinem Bruder, und so sieht alles nach einem Tourabbruch aus.
Ich wage noch einen Versuch und bitte Jaaku, mir zu zeigen, wo der Weg weitergeht, denn er finde ja immer den besten Weg. Damit habe ich offenbar den richtigen Nerv getroffen, mit Feuereifer stürzt sich Jaaku auf diese neue Aufgabe und ist wieder einmal unermüdlich. Unablässig plappernd weist er mir den Weg, und wehe ich gehe nicht genau hinter ihm her! Über dieses System legen wir mindestens doppelt so viel Strecke zurück wie nötig, aber: das Kind läuft! (Nur wenn Jaaku allzu weit vom Weg abkommt greife ich behutsam korrigierend ein.) Über Fels und Schnee geht es immer höher hinauf und am höchsten Punkt des Wegs haben wir einen fantastischen Ausblick über Eisfjord und Sermermiut Tal. Eine Eisfläche in einer Senke zwischen den Felsen lädt zum Spielen ein und wir machen eine ausgedehnte Pause. Wir liegen auf den Felsen und genießen die Nachmittagssonne, während die Kinder auf dem Eis herumrutschen – bis Niklas stürzt, was dem Spaß ein jähes Ende bereitet. Seine Nase blutet kräftig und wir brauchen eine ganze Weile um ihn zu beruhigen. Schlimmeres scheint zum Glück nicht passiert zu sein, denn kurze Zeit später hüpft er schon wieder von Felsen hinab und rennt durch den Schnee um die nächsten Wegmarkierungen freizulegen. Zum Glück ist es nicht mehr weit bis zum Ende des Wanderwegs am alten Heliport. Als wir das Feld mit den Schlittenhunden erreichen, ist gerade Fütterungszeit und die Luft ist erfüllt von aufgeregtem Heulen und Jaulen aus vielen hundert Hundekehlen – das ist die abendliche Geräuchkulisse, die uns von unser ersten Grönlandreise noch so gut in Erinnerung ist.
Kaum an der Straße angekommen sind die Kinder natürlich wieder zu Tode erschöpft… bis wir wieder den Rodelhang erreichen – same procedure as yesterday!
Den Abend über lassen die Beiden es nicht etwa ruhiger angehen, nein, nach dem Abendessen geht es gleich wieder nach draußen, um mit den anderen Kindern aus dem Gästehaus (vor zwei Tagen ist noch eine dänische Familie angekommen, deren Kinder nur ein paar Jahre ältere als unsere sind) Schneehöhlen zu bauen und den steilen Abhang hinterm Haus zum Meer hin hinunterzurodeln. Erst als es dunkel wird lassen sie sich dazu bewegen hineinzukommen.
Vor dem Schlafengehen suche ich den Himmel noch einmal nach Nordlichtern ab und tatsächlich: im Südwesten(!) entdecke ich einige schwache Lichter. Jaaku schläft bereits, aber Niklas nehmen wir mit hinaus, um das Himmelsschauspiel zu betrachten. Im Verlauf der nächsten zwei Stunden werden die Nordlichter immer mehr und breiten sich über den gesamten Himmel aus, von Nord nach Süd, von Ost nach West, überall tanzen grüne und rote Lichter in einer Intensität, die ich nie zuvor erlebt habe. Verzaubert beobachten wir den Himmel und fotografieren so gut es geht (dabei ärgere ich mich, dass ich nur ein kleines, wackeliges Stativ dabei habe). Nach langer Zeit wird das Farbenspiel langsam schwächer und wir verziehen uns völlig durchgefroren aber überglücklich ins Bett.